Fahren (98), veröffentlicht in "Impressum" Nr. 15

 

Fahren. Wir fahren. Wir fahren vorwärts. Wir fahren fort. Wir sitzen hinter Lenkern und steuern. Wir steuern und bestimmen. Wir geben Gas. Wir bremsen- selten. Wir überholen. Wir fahren schneller. Wir sind eins mit unserem Auto. Wir und das Auto sind eine Person. Eine Person auf der Autobahn. Wir fahren. Eine Person auf der Landstraße. Wir fahren. Eine Person in der Stadt. Wir fahren. Die anderen Autos sind unsere Feinde. Sie und die Personen in ihnen. Die eins sind mit ihrem Auto. Wir fahren. Wir fahren schnell und zielstrebig. Unser Ziel ist der Nächste. Wir wollen zum Nächsten. Zum nächsten Ziel. Einem Supermarkt. Einem Geschäftsessen. Einer Universität. Einem Urlaubsort. Einer Familie. Einem Haus mit Garten. Sind wir da, wollen wir wieder weg. Wir fahren. Wir fahren zu einem neuen Ziel. Das Ziel ist das Nächste, danach kommt das Übernächste. Und wieder ein neues Ziel. Ziellose Ziele. Wir treffen. Wir treffen unsere Ziele und fahren weiter. Wir haken ab. Wir haken die Termine auf unserem Kalender ab und streichen den Tag. Wir streichen ihn durch und wir fahren weiter. Wir fahren fort und fort. Wir fahren nirgendwo hin. Wir haben kein Zuhause. Ein Ort ist wie der andere. Jeder Ort ist gleich, jeder Mensch ist gleich. Uns interessiert nichts. Wir brauchen Geld. Wir brauchen Geld, um unseren Tank nachzufüllen. Wir müssen weiterfahren. Wir dürfen nicht stehenbleiben. Stillstand ist das Ende. Wir müssen uns bewegen. Wir müssen beweglich sein. Wir und unser Auto. Von einem Ort zum anderen. Jeden Tag. Die anderen mit uns. Wir alle auf der Autobahn. Wir alle auf der Raststätte. Wir müssen in der Schlange stehen. Wir wollen vorwärts. Wir telefonieren. Wir telefonieren in unserem Auto. Wir, unser Auto, unser Handy. Wir sind eins. Wir sind verschmolzen. Wir wollen das Auto nicht verlassen. Wir wollen nicht aussteigen. Wohin sollten wir aussteigen. Es gibt kein Draußen. Es gibt nur uns und das Blech um uns und das Handy in unserer Hand. In unserem Auto ist unsere Stereoanlage. Wir fahren und um uns ist unsere Musik, ist die Stimme unserer Frau. Unserer Frau im Handy. Wir kennen sie nicht, sie kennt uns nicht. Sie sitzt in einem Auto und fährt. Sie fährt und wir fahren. Wenn wir uns treffen, gibt es einen Unfall. Wir treffen uns nicht. Sie fährt in Spanien, wir fahren in Deutschland. Wir telefonieren. Wir hören eine Stimme durch einen Apparat. Die Stimme kann uns nicht nahe kommen, sie ist weit weg. Wir fahren, sie fährt. Weit weg. Um uns das schützende Blech, vier Quadratmeter für uns allein. Überall auf der Welt. Niemand darf hineinkommen. Unser Auto sind wir selbst. Wir fahren. Wir haben nichts als unser Auto. In unserem Auto unsere Musik, unser Handy. Und unsere Jacke. Unser Auto hat eine Heizung und eine Klimaanlage, wir brauchen die Jacke nicht. Wir steigen nicht aus. Wir steigen nicht aus, es sei denn wir müssen tanken oder Geld abheben. Zum Essen fahren wir an den Imbiss. Drive in. Drive out. Wir fahren. Wir haben Termine. Wir parken. Wir müssen aussteigen. Wir müssen Menschen begegnen. Menschen in der Fremde. Aber unser Auto wartet vor der Tür. Wir warten vor der Tür. Aus dem Auto steigt nur die Larve. Die Larve im grauen Anzug. Die Larve, die Geschäfte macht. Wir steigen nicht aus. Wir bleiben im Auto. Sie unterschreibt Verträge, sie trifft Entscheidungen. Wir haben nichts damit zu tun. Sie muß das machen, sonst bleibt das Konto leer und wir können kein Benzin nachfüllen. Das Auto bliebe stehen, das Leben bliebe stehen. Wir fahren. Wir müssen fahren. Wir können nicht stehenbleiben. Wir müssen weiter. Hier hast Du meine Handynummer. Ruf mich an. Ich bin immer da. Ich bin immer da, wo mein Handy ist. Ich bin immer da wo mein Auto ist. Mein Auto liebt mich, ich liebe mein Auto. Und ich liebe mein Handy. Ich liebe die Stimmen, die aus ihm dringen. Die Stimmen, die in mein Auto kommen. Schallwellen, von überall her. Sie werden zu Tönen. Sie hüllen mich ein wie meine Musik. Die Stimmen, die Musik und der Motor. Alles ist eines. Wir fahren. Wir fahren, die Stimmen, die Musik und das Auto. Wir fahren. Die Straße ist grau. Wir sehen die Straße nicht. Wir sehen das Draußen nicht. Wir fahren. Wir fahren umhüllt und verhüllt, verborgen im Auto. Das Blech ist ein Schild. Ein Schild, der uns schützt. Ein Schild, der uns schirmt. Das Schild, das sagt, wer wir sind. Wir sind das Auto. Das große Auto, das kleine Auto. Das Auto. Das rote Auto. Das schwarze Auto.

 

Die Autos der anderen. Wir sehen sie nicht. Wir sehen nur ihre Lichter. Wir sehen die Hindernisse auf unserer Fahrt. Blechlawinen überall. Sie fahren. Wir fahren. Wir möchten schneller sein. Sie sind überall. Sie rauben unsere Parkplätze, sie rauben unseren Platz. Wir kämpfen mit ihnen. Wir dürfen sie nicht berühren. Niemand darf jemanden berühren. Wir müssen fahren. Wenn wir einander berühren, bleiben wir stehen. Können wir nicht weiter. Gibt es einen Stau. Eine Schwellung. Schwillt die Welt an. Werden wir getrennt. Wir und das Auto. Müssen wir aussteigen. Nicht nur die Larve. Unser Schutz, unser Schirm zerstört. Es ist das Schlimmste. Wir dürfen niemanden berühren. Sind so gut wie tot wenn es passiert. Wir müssen fahren. Wir müssen allein fahren. Allein und schnell. Wir müssen schneller sein als die anderen. Wir müssen sie übertreffen. Wir müssen schneller fahren und weiter. Wir müssen mehr Unterschriften sammeln und mehr Benzin kaufen. Wir müssen besser sein. Unser Auto muß größer sein. Wir müssen größer sein. Wenn unser Auto größer ist, sind wir schneller. Sind wir die ersten am Ziel. Können wir das meiste Benzin kaufen. Sind wir am schnellsten am nächsten Ziel. Am Ziel, am Ziel. Aber das Ziel ist das Auto. Jedes Ziel abgehakt in unserem Kalender. Das Nächste. Wieder das Nächste. Der Motor. Unser Motor. Er brummt, er arbeitet. Wir und der Motor. Wir und das Auto. Wir und unser Duft. Das Auto sind wir und wir sind das Auto. Unser Auto duftet nach uns und wir nach unserem Auto, nichts sonst. Das Auto und wir. Immer schneller. Durch die Straßen. Das Leben ist voller Straßen. Das Leben ist eine Straße. Und wir sind drauf. Wir und das Auto sind auf der Straße und wir fahren. Wir fahren und fahren. Wir stoppen nicht. Wir biegen ab, wir nehmen immer den breitesten Weg. Die beste Straße. Die, auf der wir am schnellsten zum Ziel kommen. Und wieder zum Ziel. Das Handy. Das Handy, die Musik und die Stimmen. Es darf nicht stoppen. Die Kassette wendet sich selbst. Das Radio spielt. Es spielt für uns. Für uns allein. Es sagt uns, wo wir nicht fahren können. Es sendet uns Botschaften. Extra für uns. Nur für uns und unser Auto. Wir fahren. Wir lassen uns nicht unterbrechen. Wir sehen nicht, was draußen ist. Es interessiert uns nicht. Wir sind hier und unser Auto ist hier und alles ist gut. Alles ist gut. Wir bekommen unsere Unterschriften und unser Benzin und unser Junkfood. Wir funktionieren. Wir fahren. Am Handy ist unsere Frau. Sie funktioniert und sie fährt. Wir begegnen uns nicht. Wir treffen uns niemals. Wir fahren. Wir fahren.